Projekt der Uni Siegen: Mit Virtueller Realität gegen den Stress

ForscherInnen der Uni Siegen entwickeln mit Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft ein virtuelles Anti-Stress-Training

(echt-siegen) Noch drei Stunden bis zur Deadline auf der Arbeit. Da ruft die Kita an: Die Zweijährige muss sofort abgeholt werden. Und das Geburtstagsgeschenk für den Großen ist noch immer nicht gekauft. Um Alltagsstress wie diesen abzubauen, entwickeln ForscherInnen der Uni Siegen zusammen mit Partnern – darunter die Hochschule Düsseldorf – ein technisch unterstütztes Entspannungsprogramm namens „NoStress“. Siegener ExpertInnen aus den Bereichen Wirtschaftsinformatik und klinischer Psychologie kooperieren, um Virtuelle und „echte“ Realität bei der Stressbewältigung zusammenzubringen. Gefördert wird das Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Kern des Anti-Stress-Trainings ist eine virtuelle Entspannungsreise. Über eine VR-Brille vermittelt, hat der Nutzer oder die Nutzerin das Gefühl auf einem Feld zu stehen, umgeben von Bäumen und Bergen. Die Sonne geht gerade auf und taucht die Landschaft in sanftes Orange. Dazwischen eine Lichtkugel, die im Rhythmus der eigenen Atmung pulsiert und durch die Reise leitet. Über Kopfhörer läuft ruhige Musik. Durch eine am Brustkorb gespannte, sensible Feder messen Sensoren die Atemfrequenz und das Stresslevel. Der Nutzer sitzt dabei auf einer Massagematte. Neben ihm ein Kissen, das individuell im Atemrhythmus des Nutzers vibriert und dann immer langsamer wird. Durch die Atemübungen soll der Stress abgebaut werden.

„Durch die VR-Brille und den Sound soll der Nutzer aus seinem Alltag herausgeholt werden, abgeschottet sein und nicht abgelenkt werden“, erklärt Projektleiter Holger Klapperich vom Lehrstuhl „Wirtschaftsinformatik / Ubiquitous Design“ von Prof. Dr. Marc Hassenzahl.

Einen Prototypen gibt es bereits. Jetzt arbeiten die Siegener ForscherInnen mit den Partnern daran, die Technik für den Privatnutzer zuhause zu reduzieren. ExpertInnen entwickeln gerade Alternativen für den Brustkorb-Sensor, damit private NutzerInnen weniger Equipment benötigen. Vorstellen kann sich Klapperich zum Beispiel auch, das Anti-Stress-Training ans betriebliche Gesundheitsmanagement von Unternehmen anzugliedern. Diese könnten das System im Pausenraum zur Verfügung stellen.

Die Atmosphäre und die Lichteffekte in der Virtuellen Realität sind besonders behaglich und naturnah animiert, damit sich die NutzerInnen von Beginn an wohlfühlen. Während der gesamten Gestaltung kamen zukünftige NutzerInnen zu Wort. Durch Interviews mit ProbandInnen hatten die WissenschaftlerInnen beispielsweise die Idee, dass es einen Begleiter in der virtuellen Welt geben sollte. Zu Beginn war der Begleiter ein katzenähnliches Wesen. „Viele Menschen mögen Katzen und finden sie beruhigend“, erklärt Klapperich den Ansatz. Im Co-Design mit den NutzerInnen fiel die Idee allerdings durch:

„Die Hälfte der Befragten fand die Katzen-Idee toll“, erzählt der Siegener Wissenschaftler. Die andere Hälfte brachte Bedenken vor: Einige Menschen mochten keine Katzen, andere hätten eine Katzenhaar-Allergie und empfänden Katzen deshalb nicht als entspannend. Für die WissenschaftlerInnen war klar: Die Katze hatte keine Zukunft. Die NutzerInnen wünschten sich etwas Neutraleres und Abstrakteres. Daraus entstand schließlich die pulsierende Lichtkugel.

Das Anti-Stress-Training ist so konzipiert, dass es verschiedene Stufen gibt. „Anfänger wollen wir mit der Technik dazu befähigen sich zu entspannen“, sagt Klapperich. Je erfahrener man wird, desto mehr solle aber die Technik in den Hintergrund treten. „Wir wollen die Menschen nicht abhängig von der Technik machen, sondern sie nur so lange einsetzen, wie sie uns nutzt.“

Gerade testen ExpertInnen aus der klinischen Psychologie, wie erfolgreich das entwickelte System den Stress tatsächlich mindern kann. Ein Team um Psychologie-Professor Tim Klucken von der Uni Siegen misst Effekte und testet, ob man mit dem Programm besser, schlechter oder gleich gut entspannen kann wie mit vergleichbaren Systemen oder ohne Unterstützung. Die Ergebnisse stehen noch aus.

Gleichzeitig finden Events statt, um ethische und soziale sowie gesellschaftlich relevante Themen zu diskutieren. „Viel Stress entsteht heutzutage durch moderne Technik. Ist es da nicht paradox, Technik zur Entspannung zu nutzen? Beziehungsweise könnte die Technik sogar zu neuen Problemen führen?“, fragt Klapperich. Um solche Fragen geht es in den Diskussionen. Aber auch um Lösungsansätze. Wer sich an diesen Diskussionen beteiligen möchte, kann an der Online-Veranstaltungsreihe „Stress und Technologie“ teilnehmen. Der nächste Termin findet am 28.01.2021 statt. Weitere Informationen finden Sie hier.

Verbundpartner:
Hochschule Düsseldorf, Düsseldorf
LAVAlabs Moving Images GmbH & Co. KG, Düsseldorf
Medisana Space Technologies GmbH, Düsseldorf
tro GmbH, Düsseldorf
IOX GmbH, Düsseldorf

Quelle und Bildquelle: Universität Siegen vom 20.11.2020